Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Angst vor Nachteilen | TAZ 15.12.2021

KARRIERE Junge Ju­ris­t:in­nen und künftige Leh­re­r:in­nen machen oft keine Psychotherapie – aus Sorge, deshalb nicht verbeamtet zu werden. Aber ist das begründet?

Vielleicht war es der Stress des Studiums, vielleicht einfach die Seele: Christian Bergmann rutschte während des Jurastudiums in eine depressive Phase. „Ich dachte daran, eine Psychotherapie zu beginnen“, erzählt der 32-jährige Berliner, „mehrfach habe ich überlegt. Ich kenne einige Juristen, denen es genauso ging. Aber niemand hat während des Studiums eine Therapie angefangen, auch ich nicht. Die Sorge ist da, dass es dann später mit der Verbeamtung nicht klappen könnte.“

Bergmann, der in Wirklichkeit anders heißt, ist einer von vielen jungen Leuten, die sich mit seelischen Problemen herumschlagen, aber diese nicht behandeln lassen aus Angst, später deswegen bei der behördlichen Gesundheitsprüfung vor einer Verbeamtung abgelehnt zu werden. Bergmanns Bekannter Wolfgang Schuster, Name ebenfalls geändert, auch Jurist, hat deshalb ein paar Therapiestunden lieber aus eigener Tasche bezahlt, damit diese Gespräche nicht aktenkundig werden. „Da herrscht eine große Unsicherheit“, sagt Schuster. Er kennt sogar Fälle, erzählt der 28-Jährige, in denen junge Leute Psychopharmaka unter der Hand an Bekannte weitergaben, weil diese mit ihren Beschwerden nicht zum Psychiater gehen wollten.

Ronald Hoffmann, Leiter der zentralen Studienberatung und psychologischen Beratung (ZSPB) der Universität Hamburg weiß von diesen Ängsten: „Das kennen wir von Jurastudierenden und Lehramtsstudierenden und von allen, die später verbeamtet werden können. Die haben Sorge, dass die Verbeamtung nicht funktioniert, wenn sie eine Psychotherapie machen.“ Vor jeder Verbeamtung auf Lebenszeit müssen Be­wer­be­r:in­nen wahrheitsgemäße Angaben zu ihrem Gesundheitszustand und zu ihrer Vorgeschichte machen und oft auch persönlich beim Amtsarzt erschienen. Dieser muss eine Prognose zur späteren Dienstfähigkeit erstellen. Sind die Ängste davor übertrieben?

Urteil des Verwaltungsgerichts

Eine Umfrage der taz bei Amtsarztstellen ergab, dass die Bedenken der späteren Be­am­ten­an­wär­te­r:in­nen eher unbegründet sind, was die Begutachtungen betrifft. „Wenn jemand eine Psychotherapie gemacht hat oder auch aktuell macht, ist das in der Regel kein Grund, eine Verbeamtung auszuschließen“, sagt Matthias Albers, Facharzt für Psychiatrie und Abteilungsleiter beim Gesundheitsamt der Stadt Köln und Sprecher des Fachausschusses Psychiatrie beim Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Albers war selbst 15 Jahre lang als Gutachter tätig.

Albers verweist auf ein wegweisendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2013. Mit dem Urteil wurden die Maßstäbe für eine Nichteignung für ein Beamtenverhältnis abgesenkt. In diesem Urteil verfügten die Richter, dass Gut­ach­te­r:in­nen bei der Gesundheitsprüfung den oder die Kandidatin nur dann als „nicht geeignet“ einstufen können, wenn eine „vorzeitige Pensionierung vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze überwiegend wahrscheinlich ist“. In den Jahren davor mussten die Gut­ach­te­r:in­nen zu dem Schluss kommen, dass eine Eignung dann vorliege, wenn eine Diensttauglichkeit bis zum Pensionsalter wahrscheinlich sei.

„Die Beweislast wurde durch das Urteil umgekehrt“, sagt Albers. Er kann sich nur an einen Fall erinnern, vor dem Urteil, an dem die Verbeamtung einer Kandidatin wegen einer langwierigen psychischen Erkrankung abgelehnt wurde, „damals lag eine schwere Essstörung vor“.

Es könne aber sein, dass ein Amtsarzt den oder die Kan­di­da­t:in noch zu einem Psychiater schickt zur weiteren Begutachtung, sagt Albers. Bei einer langfristigen ärztlichen medikamentösen Behandlung etwa durch Antidepressiva sei es dann entscheidend, dass „ein Facharzt zu dem Schluss kommt, dass eine Heilungsbewährung eingetreten und der Patient eine gewisse Zeit rückfallfrei ist“, erklärt der Psychiater.

Selbst wenn der oder die An­wär­te­r:in in der Vergangenheit in stationärer Behandlung war, sei dies nicht automatisch ein Ausschlussgrund, schildert Albers. Dies betreffe auch etwa Phasen einer psychotischen Erkrankung. „Wenn jemand sagt, ich war vor zehn Jahren in einer Klinik, seitdem nicht mehr, dann kann man das akzeptieren“, so Albers. Wenn allerdings ein Klinikaufenthalt erst kurz zurückliege und ein Kandidat aktuell ein Antipsychotikum nehme, „dann könnte der Arzt sagen, man wartet ab und befürwortet erst mal nur eine Verbeamtung auf Probe“, erklärt der Kölner Psychiater.

Verantwortung spielt eine Rolle

Martina Zinner-Feyerabend, Leiterin des personalärztlichen Dienstes der Stadt Hamburg, sagt im Gespräch mit der taz, „eine Psychotherapie wird kein Ablehnungsgrund sein für eine Verbeamtung“. Im Falle von Borderline-Erkrankungen und psychotischen Episoden in der Vergangenheit würde man aber etwa bei Lehr­amts­an­wär­te­r:in­nen „schon genauer hinschauen, wie lange die Episoden her sind, wie lange die Person symptomfrei ist. Grundschullehrer und -lehrerinnen haben ja später mit Kindern zu tun, sie haben eine Garantenpflicht und müssen die damit verbundene Verantwortung tragen können.“

Eine Sprecherin der Landeshauptstadt München teilte in einer schriftlichen Stellungnahme mit: „Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass eine psychia­trische Erkrankung in der Vorgeschichte per se nicht in jedem Fall einen Hinderungsgrund für eine Verbeamtung darstellt. Es kommt vielmehr im Einzelfall darauf an, um welche Erkrankung es sich handelt(e) […] und wie die langfristige Prognose im Hinblick auf Dienstfähigkeit zu beurteilen ist.“ Zur medikamentösen Behandlung durch Psychopharmaka heißt es: „Bei laufender Medikation muss neben der Wirksamkeit und der zugrundeliegenden Erkrankung auch das Nebenwirkungsprofil berücksichtigt werden, zum Beispiel im Hinblick auf die Steuerungsfähigkeit.“

Ist die Hürde der Gesundheitsprüfung genommen, steht jungen Be­am­t:in­nen mit einer psychotherapeutischen Vorgeschichte allerdings ein anderes Problem ins Haus: Be­am­t:in­nen gehen in der Regel in eine private Krankenkasse, weil sie vom Dienstherrn über die sogenannte Beihilfe entsprechende Zuschüsse bekommen.

Krankenkasse ist das Problem

Private Krankenversicherungen lehnen An­trags­stel­le­r:in­nen mit psychotherapeutischen oder psychiatrischen Vorgeschichten aber oft ab. „Das kommt leider häufig vor“, sagt Michael Buchholz, Versicherungsmakler aus dem niedersächsischen Auetal und Betreiber der Website fairbeamtet.de. Eine Option ist dann die sogenannte „Öffnungsaktion“ mancher Privatkassen, die Personen mit Vorerkrankungen aufnehmen. Sie tun dies aber mit Risikozuschlägen von bis zu 30 Prozent und einem teilweise eingeschränkten Behandlungsspektrum.

Man kann als Be­am­t:in freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse bleiben, aber nur in einigen Bundesländern zahlen die Dienstherren dann einen Arbeitgeberzuschuss zum Krankenkassenbeitrag. Ansonsten muss der oder die Versicherte den vollen und damit doppelt so viel gesetzlichen Krankenkassenbeitrag bezahlen wie Angestellte. Die Grünen dringen in ihrem Wahlprogramm darauf, diese Benachteiligung der gesetzlich versicherten Beamten durch einen „beihilfefähigen Tarif“ zu beenden.

Christian Bergmann hat die amtsärztliche Gesundheitsprüfung bestanden, er ist nun Richter und Beamter auf Lebenszeit. „Jetzt könnte ich eine Psychotherapie machen“, sagt er. Rechtzeitige Behandlungen sind sinnvoll. Bei den vorzeitigen Pensionierungen etwa von Leh­re­r:in­nen sind psychische Erkrankungen der häufigste Grund.