CDU + SPD. Der Koalitionsvertrag stärkt die Alten, schwächt die Jungen und stellt Schwache gegen Schwache. Eine Verteilungsdebatte wird verhindert
Um 84 Euro steigt die monatliche Rente einer Ruheständlerin, die drei Kinder großgezogen hat und nun für jedes Kind mehr Geld aus der Rentenkasse bekommen soll. So steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD, und das könnte in Deutschland wieder Verteilungsdebatten zum Thema „Alt gegen Jung“ befeuern.
Doch diesmal erscheinen Bevölkerungsgruppen als Gewinner, die sonst nicht auf der Sonnenseite des Lebens verortet wurden. Und das macht eine Gerechtigkeitsdebatte so schwer.
Allein 6,5 Milliarden Euro soll die Verbesserung der Mütterrenten jährlich kosten, von der Frauen profitieren, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Schätzungsweise mindestens 5 Milliarden Euro werden für die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren für langjährig Versicherte fällig. Hinzu kommen milliardenteure Anhebungen für Erwerbsgeminderte und Geringverdiener.
„Die Rentner fahren sehr gut mit diesem Papier“, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes der taz. Wenn man bedenke, dass etwa der Ausbau der Ganztagschulen in der Endfassung des Koalitionsvertrags wegfalle, dass es keine Erhöhung des Bafögs gebe und künftig vor allem die Beitragszahler die neuen Sozialleistungen stemmen würden, „dann stimmt es, dass die Älteren besser wegkommen als die Jüngeren“, meint Schneider.
„Die Zukunft wird verfrühstückt“, bemängelt der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter. Damit entsteht eine ungewollte Nähe zu den Wirtschaftsverbänden. Die geplante „Rente mit 63“ sei ein „kapitaler Fehler“, die Mütterrente zu teuer, rügt auch Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Flugs rechnete Kramer die jährlichen Mehrkosten für die Mütterrente bis zum Jahre 2030 zusammen und kam auf die schlagzeilenträchtige Summe von 130 Milliarden Euro, die über Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden müssten.
Rentnerinnen standen bisher nicht als Profiteure da
Eine Verteilungsdebatte entsteht so aber nicht, denn die Frontlinien sind komplizierter. Der Koalitionsvertrag stellt letztlich nicht nur Alt gegen Jung, sondern auch Schwache gegen Schwache. Alte Frauen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration standen bisher nicht als Profiteure des Sozialstaats da, auch wenn diese Ruheständlerinnen im Vergleich zu künftigen Rentnergenerationen noch ein relativ gut versorgter Personenkreis sind.
Auch langjährig Erwerbstätige, die nicht abschlagsfrei in Rente gehen können, galten eher als Verlierer im Sozialstaat, obgleich von der bereits existierenden Rente für langjährig Versicherte bisher vor allem gut gestellte Arbeitnehmer profitieren, denn sie kommen eher auf die erforderliche Beitragszeit von 45 Jahren.
Schwach sind nicht nur viele Rentner, sondern auch die Beitragszahler, darunter viele jüngere Arbeitnehmer, denn vor allem sie müssen die neuen Lasten schultern. Ihnen bleibt keine Flucht aus den Sozialkassen. Der Rentenversicherungsbeitrag wird langfristig steigen, desgleichen auch der Beitrag zur Pflege und zur gesetzlichen Krankenversicherung, dessen Arbeitgeberanteil eingefroren bleibt.
Eine am Freitag veröffentlichte Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ergab, dass 86 Prozent der Bürger die Verbesserung der Mütterrenten begrüßen. 79 Prozent bezweifeln allerdings, dass die Koalitionspläne ohne neue Schulden oder Steuererhöhungen umsetzbar sind. Bei den Befragten hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen, dass die Rentenverbesserungen vor allem von den Beitragszahlern geleistet werden sollen.
Insofern stimmt es, wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt: „Der Koalitionsvertrag ist auch einer für die kleinen und fleißigen Leute.“ Die „fleißigen Leute“ braucht man, denn sie zahlen die Beiträge. Die neue Bundesregierung setzt dabei wie ein risikofreudiger Fondsmanager auf einen auch künftig boomenden Arbeitsmarkt.
Wenn Arbeitgeberpräsident Kramer nun fordert, den Anstieg der Mütterrenten aus Steuermitteln zu bezahlen, ist dies ein wenig heuchlerisch. Aus welchen Steuern? Die Wirtschaft hätte laut aufgeschrien, wenn Steuererhöhungen für Besserverdienende, Vermögende, Firmenerben, Betriebe gekommen wären – davon steht auch auf Wunsch der Wirtschaft nichts mehr im Koalitionsvertrag.
Die üblichen Frontlinien „Reich gegen Arm“ wurden von Union und SPD damit auf gespenstische Weise ignoriert. Es fehlen auch fast alle Bezüge zu Hartz-IV-Empfängern oder Beschäftigungsmaßnahmen für abgehängte Langzeitarbeitslose. Diese Gruppen stehen nicht mehr im Mittelpunkt des politischen Interesses. Die harten Konflikte wollte man vermeiden.
Die Lücken im Koalitionsvertrag sind so bedeutsam wie das, was drinsteht. Die Auslassungen fallen auch – günstig für die Politik – kaum auf. 52 Prozent der Wähler begrüßen den Vertrag, so die Forschungsgruppe Wahlen. Nur 26 Prozent sind explizit dagegen. Eine knappe Mehrheit, immerhin. Das war die politische Rechnung der „GroKo“.