GELD Einige „Reiche“ wollen höher besteuert werden. Was folgt daraus?
Es lohnt ein Blick auf die Verteilungsdebatten seit den 90er Jahren
Jetzt auch noch Marius Müller-Westerhagen. „Ein paar Prozentpunkte mehr
Steuern machen Wohlhabende nicht arm“, sagt der Rocksänger dem Wochen-
magazin Die Zeit. Auch Versandmilliardär Michael Otto und Hörgeräteunter-
nehmer Martin Kind verkünden dort, sie hätten nichts gegen eine höhere
Steuerbelastung ihres Einkommens.
Dass die Reichen jetzt medienwirksam fordern, dass der Staat ihnen mehr
abknöpft, um seine Schulden abzubauen, ist der neueste Hit in der
Gerechtigkeitsdebatte. Auf den ersten Blick wirken die Appelle beeindruckend,
die in den USA, in Frankreich und in Deutschland ertönen. Wobei der
Multimilliardär Warren Buffet, der von der US-Regierung fordert, ihn höher zu
besteuern, in einer anderen Liga spielt als etwa der Berliner Arzt Dieter
Lehmkuhl, der mehr als 20 Begüterte dazu brachte, einen Appell für die
erneute Einführung einer Vermögenssteuer in Deutschland zu unterschreiben.
Doch keiner der Reichen und Superreichen bringt mit diesen Forderungen
große Opfer: Der hochbetagte Buffet hat soviel Geld angehäuft, das er
befürchten muss, mit dieser Last das Leben seiner Kinder und Enkel zu
versauen. Der 68-jährige Lehmkuhl ist durch eine Hinterlassenschaft zu Geld
gekommen und angesichts der niedrigen Erbschaftssteuer in Deutschland kann
man von einem satten Nachlass durchaus ein paar Prozente abgeben und dann
immer noch prima leben.
Die Vermögenden stellen die Regierung bloß, indem sie sich als die besseren
Gemeinwohldenker positionieren. Das ist eine Umkehrung der Rollen. Aber es
könnte die Verteilungsdebatte befeuern. Denn alle Argumente für und gegen
mehr Steuern für Wohlhabende gab es schon seit den 90er Jahren – heute
aber wissen wir, welche Behauptungen sich bewahrheiteten und welche nicht.
Das erste Gegenargument gegen Besitzsteuern liegt im Grundgesetz:
Substanzbesteuerungen, die zu einem schleichenden Schrumpfen des
Privatvermögens führen, sind nach einem Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts von 1995 nicht erlaubt. Es sei denn, es herrschen Ausnahmezeiten.
Es ist bezeichnend, dass sich die Grünen mit ihrem Vorschlag einer
befristeten „Vermögensabgabe“ auf das Vorbild der „Vermögensabgabe“ im
Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg beziehen. Doch die Notzeiten
damals waren andere.
Eine weniger als einprozentige unbefristete Vermögenssteuer, die mit dem
Ertrag des Vermögens verrechnet wird, wäre von der Verfassung unter
Umständen gedeckt. Auch könnte man den Spitzensteuersatz auf Einkommen
wieder erhöhen. Das klassische Gegenargument : Vermögenssteuern und hohe
Einkommenssteuern schmälern Erträge und Investitionen von Betrieben und
Unternehmern und gefährden damit Arbeitsplätze. Diese Drohung mit
Jobabbau ermöglichte die Steuersenkungen, von denen Wohlhabende bis
heute profitieren. Doch die Beschäftigungslage, die im Zuge der
Wiedervereinigung drastisch eingebrochen war, hat sich gebessert und
angesichts des Fachkräftemangels verliert das Argument an Kraft.
Aber flieht der Reiche nicht ins Ausland, wenn man ihn hierzulande zu sehr
mit Steuern belästigt? Tja. Die Frage ist, ob nicht auch dieses Argument
weniger zieht, wenn nun sogar die Schweiz für Ausländer eine Quellensteuer
erhebt und sich Geld leichter vererben lässt, wenn es nicht auf irgendwelchen
Konten im Ausland versteckt ist.
Apropos Erben: Ein Streitpunkt seit den 90er Jahren war die Erbschaftssteuer,
deren Erhöhung immer wieder gefordert wurde. Erbschaften liegen in der
gefühlten Schnittstelle von Besitz und Familie, also dem Allerheiligsten.
Der Familiensitz musste gerettet werden, die Große Koalition schaffte dies
mit der Reform der Erbschaftssteuer von 2007. Die Reform erlaubt es heute
Kindern, von beiden Elternteilen nacheinander Geldvermögen im Wert von
insgesamt 800.000 Euro zu erben, ohne einen Cent Erbschaftssteuer zu
zahlen.
Wer das Elternhaus selbst bewohnt, muss nichts berappen, auch wenn es sich
um eine großzügige Villa handelt. Das ist ein Skandal.
Es gibt Spielraum, sich für höhere Steuern auf Besitz und Einkommen
einzusetzen und dabei aus den Debatten der vergangenen Jahrzehnte zu
lernen. Enteignungsfantasien den sehr Reichen gegenüber helfen jedoch
genauso wenig wie auf den Großmut der Wohlhabenden zu vertrauen.
Auch die gefühlte höhere Mittelschicht muss bereit sein für Opfer. Genau
davon lenken Appelle von Superreichen wie Buffet oder Umfragen mit
Prominenten wie Müller-Westernhagen jedoch ab.