Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Später

Geschmeidig mit dem Gabelstapler | TAZ 16.3.2015

Früher sprachen wir auf Partys über sexuelle Freiheit im Bett, jetzt über Barrierefreiheit im Bad

Als ich kürzlich mit einem Sektglas in der Hand auf der Party zu Theresas 60. Geburtstag über die Höhe von Treppenstufen diskutierte, schwante mir, dass sich gerade etwas Grundsätzliches ändert in unseren Fetengesprächen.

„Also unsere Vorbesitzerin ist ausgezogen, als sie 75 wurde“, sagt Theresa und nippt am Prosecco. „Die Treppen, die schaffe sie einfach nicht mehr mit ihren Knien.“ „Sind ja auch hoch, die Stufen bei euch im Reihenhaus“, stimme ich zu. „Meine Großmütter allerdings stiegen die Treppen in ihren Häuschen hoch und runter, bis sie über 80 waren.“

„Meine auch“, sagt Theresa, „Sturz, Oberschenkelhalsbruch. Das war der klassische Oma-Tod, früher. Ist out.“

Günther hat sich zu uns gesellt, er balanciert einen Teller mit Roastbeef in der Hand. Er hatte kürzlich seinen 64. Geburtstag. „Ich sehe das mit der Barrierefreiheit auch in einem anderen Licht“, sagt er. „Meine Mutter hat sich die letzten Jahre mit Stufen aller Art abgequält. Mit Lise habe ich letztens darüber gesprochen, in unsere Garage ein barrierefreies Duschbad einzubauen, für später.“ Mit seiner Frau bewohnt er ein Reihenhaus, die Kinder sind groß, sein linkes Knie wird demnächst gegen ein künstliches Gelenk ausgetauscht.

„Bad in die Garage?“, fragt Theresa, „ist das dann auch barrierefrei zugänglich?“ „Das Problem ist die Stufe von der Wohnebene zum Garagenboden“, antwortet Günther. „Aber vielleicht könnte man eine hydraulische Plattform installieren, in der Art, wie sie die Deutsche Bahn für Rollstuhlfahrer benutzt.“

Das habe ich schon mal gesehen, ist wirklich beeindruckend, wenn eine alte Dame im Rollstuhl von diesem Apparat hochgehievt wird wie auf einem Gabelstapler und in den ICE geschoben wird.

„Stell dir mal vor, wie das dann im Alter ist, wenn du nachts mit dem Rollator aufs Klo willst“, gibt Theresa zu bedenken, sie hat einen sachlichen Ton wie eine Ingenieurin. „Dann trippelst du mit dem Rollator erst auf die Plattform, betätigst die Hydraulik, die Plattform senkt sich ab, du trippelst dann weiter zum Klo und das Ganze wieder zurück. Barrierefrei ist anders“.

„Könnte man nicht den Boden von der Garage erhöhen?“ frage ich. „Dann müsste man auch das Garagendach erhöhen“, sagt Günther. „Bei uns gibt es allerdings so eine Art Erhaltungsgebot, da kann man nicht einfach Dächer erhöhen ohne Erlaubnis.“

„Vielleicht könnte man auch einfach umziehen, wenn es zu schwierig wird im Reihenhaus?“, frage ich.

„Umziehen?“ Theresa schaut mich fast mitleidig an. „Wohin denn, in Berlin?“ „Ihr habt hier doch kein Problem, Theresa“, beruhigt Günther und pickt ein Stück Roastbeef vom Teller. „Bei dieser Stiege ist ein Treppenlift leicht anzubringen. In diesem Haus sehe ich eher ein Problem mit der Wendekreisfreiheit für Rollstühle.“

Wendekreisfreiheit! Wahrscheinlich hat jede Lebensphase ihre ganz besondere Freiheit, die sexuelle Freiheit, die Barrierefreiheit, die Rollstuhl-Wendekreis-Freiheit. Ich muss los zum Büffet, vom Roastbeef ist dort kaum noch was übrig.