Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Wenn das Licht anbleiben soll | TAZ 24.3.2012

LAUT EINER STUDIE HABEN FRAUEN AB 50 RELATIV HÄUFIG SEX. ABER STIMMT DAS? EIN GESPRÄCH WÄHREND EINER RASANTEN AUTOFAHRT (Dieser Text ist eine gekürzte Version eines Kapitels aus meinem Buch: „Älterwerden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten“ (Mosaik 2012) das auch als Taschenbuch erschienen ist unter dem Titel: „Können Falten Freunde sein“ (Goldmann, 2015)


Sex in späten Jahren. Heikel. Die Frage lautet: Ist bei den andern mehr los?

Es existieren Studien dazu. Das macht es nicht einfacher. Da gibt es die Befragung von mehr als 1.000 Frauen im Alter zwischen fünfzig und sechzig Jahren zu „Postmenopause und Sexualität“, ausgewertet von Sexualforscher Kurt Starke. Von den Frauen mit Partner hatte gut die Hälfte mindestens einmal in der Woche Sex. Und das in dieser fortgeschrittenen Altersgruppe. So, so. Schon bemerkenswert, dass meine Freundinnen und ich nie angeschrieben werden, wenn TNS Infratest Fragebögen verschickt. Oder wir gehören einfach nicht zur sexy Hälfte.

„Klar spielt Sex noch eine große Rolle“, meint Ursula. „Sex hat mit dem Alter nicht soviel zu tun, sondern damit, ob es prickelt.“ Prickelt! Das Wort habe ich lange nicht mehr gehört. Ich horche auf. Zu dritt düsen wir in Ursulas BMW von Berlin nach Frankfurt. Ursula ist Suses Kollegin in deren PR-Agentur, für die beiden Arbeitskolleginnen ist es eine Dienstfahrt, ich fahre aus privaten Gründen mit.

Wer will schon Arbeitssex?

Suse hatte kurz zuvor in ihrem Frauenblog geschrieben. „Nicht auszuhalten“ sei das Geschwätz, dass prominente Frauen in den Medien heute immer wieder behaupteten, sich erst mit fünfzig „so richtig sinnlich“ zu fühlen. Und dann lächelten sie botoxgespritzt und weichgezeichnet in die Kamera, um nur ja auszusehen wie 35. Es sei eine enorme Erleichterung, wenn eine 65-Jährige wie die Schauspielerin Christine Kaufmann erklärte, sie wolle nach ihrer vierten Scheidung keinen Mann mehr und gehe lieber zur Massage.

Vor Kurzem hatten Suse und ich beim Rotwein über das Thema gesprochen. „Sex? Also mal ganz ehrlich, mehr als einmal alle zwei Monate schaffe ich nicht mehr mit Jürgen“, hatte Suse gesagt. Irgendwann habe sie angefangen, nachts kuschelige Bettsocken anzuziehen. Das signalisiere dem Körper erst recht, dass es völlig unnötig sei, mit einem anderen Organismus Flüssigkeiten auszutauschen. Suse und Jürgen gehören zu den Paaren, von denen der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt meint, dass der Geschlechtsverkehr für sie vor allem ein „Marker“ sei, um die Beziehung als intim zu klassifizieren.

Meine Bekannte F. hat nicht mal mehr Lust auf irgendeine Klassifikation. Sie und ihr Mann hätten kein Interesse mehr an „Arbeitssex“, nur um sich zu beweisen, dass sie noch ein Paar seien, stellte sie neulich klar. Bei so was kriege ich ein mulmiges Gefühl. Was, wenn Sex doch wichtig ist, superwichtig?

„Sex ist und bleibt die beste Art, einem Menschen nahezukommen“, behauptet Ursula und reißt mich aus meinen Gedanken. Wir drei im BMW haben Berlin schon lange verlassen und rauschen Richtung Leipzig.

Spitzendessous auf dem Trockengitter

Ich weiß wenig von Ursula, schätze sie als so alt wie wir, auf gut über fünfzig. Suses Kollegin ist aufgebrezelter als wir, Kostüm, Stöckelschuhe, volles Make-up. Sie erinnert mich an meine Jugendfreundin Gabriele, die vor Kurzem Großmutter geworden ist und die ich neulich besuchte. In Gabrieles Wohnung fiel mir sofort das breite Bett ins Auge, mit apricotfarbener Seidenbettwäsche bezogen, die Bettdecke aufwändig bestickt. Irgendwie hatte ich ganz vergessen, dass man ein Bett auch so beziehen kann.

Im Bad stieß ich auf ein Trockengitter, auf dem Spitzendessous drapiert waren, wie ich sie in den vergangenen Jahren bei keiner meiner Freundinnen mehr zu Hause gesehen hatte. Und dann diese Pumps am Eingang! Mein Gott, war ich wirklich schon so ein Trampel mit meiner Sammlung an Wanderschuhen?

Gabriele hat Gregor, 15 Jahre jünger, auf einer Party kennen gelernt. Er hatte als Caterer das Buffet ausgerichtet. Gabriele glaubt an den jüngeren Mann. Wie Kommentatorin „Tigerkatze“ in Suses Blog. Die hatte gepostet: „Warum machen wir es nicht wie viele alte Männer und suchen uns was Frischeres? Ab vierzig macht man doch sowieso beim Sex das Licht aus.“

„Wenn du deine Wabbelschenkel vor deinem jungen Lover verstecken musst, tust du mir leid“, antwortete „Lady 0816“, „ich jedenfalls liege lieber mit einem Mann im Bett, der genauso viel Fettpolster hat wie ich.“ „Sex im Alter ist wie bei einem Oldtimer, den du nur selten fährst. Du steckst den Schlüssel in die Zündung, erst tut sich nichts, aber dann stottert der Motor doch los, und die Karre rauscht ab“, hatte Suse noch mal gepostet. „Bei mir klappt das nur, wenn ich Öl nachkippe“, teilte „0816“ mit.

Im Cabrio haben wir jetzt Dessau hinter uns gelassen.

„Es kommt immer auf die Beziehung an. Paare um die fünfzig, die sich noch nicht lange kennen, schlafen leidenschaftlicher miteinander als Leute, die dreißig Jahre verheiratet sind“, sagt Ursula und wirft mir im Rückspiegel einen Blick aus ihren sorgfältig geschminkten Augen zu.

Das Gute am Hormonabfall

Ihr Spruch erinnert mich an Hille. Sie hat kürzlich einen neuen Mann kennengelernt. Es sei toller als mit Burkhard, ihrem langjährigen Ehegatten. „Er ist wie eine fremde, aufregende Landschaft, ein Körper, den ich erst kennen lerne“, schwärmte Hille, „und er ist sehr bedürftig. Jede Nacht.“ Ich fühlte mich sofort unter Stress.

„Auch ohne Sex kann man leben“, behauptet Suse. So wie unsere Freundin Lise zum Beispiel. Während Lises Mitgliedschaft bei einer Dating-Agentur antworteten viele Männer entweder gar nicht auf ihre Kontaktanfragen oder wollten erst ihr Foto sehen, um dann im Web abzutauchen. Besonders die Akademiker hielten sich für heiße Ware auf dem Partnerschaftsmarkt, glaubt Lise. Dass ihre Libido altersbedingt abnimmt, sei für sie angesichts dieser mageren Angebotslage weiß Gott keine Katastrophe. „Ich kann der Natur nur auf Knien danken, dass sie mich allmählich vom Hormondruck befreit.“

„Wenn Frauen in unserem Alter einen Partner suchen, geht es vielleicht gar nicht in erster Linie um Sex“, sagt Suse und verschränkt die Arme. „Sex kann man auch mit sich selber haben.“ In Ursulas Sportwagen kommen wir jetzt auf eine gefährliche Gefällestrecke. Ich wäre mit einer Arbeitskollegin im Auto nicht so weit gegangen, noch das Thema Selbstbefriedigung anzuschneiden. Obwohl eine Autorin mit dem Pseudonym „Good Vibrations“ in Suses Blog gepostet hatte: „Selbstbefriedigung ist Sex mit jemandem, den ich liebe.“

Ursula überholt auf der Gefällestrecke elegant einen Lastzug. „Die Paarbeziehung ist vielleicht ohnehin ein Modell von gestern“, fährt Suse fort, „es gibt auch andere Bezugssysteme.“ Meine Freundin Tine zum Beispiel unterhält eine Art Hunde-Ehe. Sie hängt sehr an ihrem Labrador Rasputin. „Raspi“ gebe ihr jede Menge Streicheleinheiten. Der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch glaubt, es gebe immer mehr „Neoallianzen“ mit anderen Objekten als menschlichen Partnern. Ich würde auch iPhones und Kleingärten zu den neuen Liebesobjekten zählen. Und Haustiere natürlich. Sind Hund und Katze die neuen Zwangsprostituierten?

Skypen und Gedichte

Ich brauche eine Pause. Ursula nimmt auf meine Bitte die Ausfahrt zur Raststätte.

Auf dem Klo der Raststätte klärt mich Suse auf: Ursula hat seit anderthalb Jahren einen neuen Lebensgefährten, einen Bewässerungsingenieur, der in Abu Dhabi arbeitet. Das Paar skype jeden zweiten Abend. Ursula sorge dabei für vorteilhafte Beleuchtung und sogar Gedichte. „Die beiden können sich doch nur alle zwei Monate treffen“, sagt Suse. Nur alle zwei Monate! War das nicht Suses Frequenz?

Später im Auto reden wir über Wirtschaft. Ist entspannter. „Angebot und Nachfrage, das ist ein komplexes Zusammenspiel“, meint Ursula. „Da entstehen ganz neue Märkte, im Kommunikationsbereich zum Beispiel.“ Genau. Das gilt auch für die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer alternden westlichen Welt.