Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Über Gerüchte

Ein fein getuntes „Hallo“ | TAZ 21.08.2011

WAS WÜNSCHE ICH DER KASSIERERIN BEI REWE NACH MEINEM EINKAUF ? DAS IST DIE NEUE SOZIALE FRAGE

Früher, da war es einfacher. Damals passierte es nur in besseren Hotels,
dass Angestellte an der Rezeption einen so begrüßten, als hätten sie sich
die ganze Woche auf den neuen Gast gefreut. Eine ehrliche Heuchelei.
Das Gegenstück dazu gab es im real existierenden DDR-Sozialismus.Nehmen wir zum Beispiel die Gastronomie, wo allmächtige Herrscher in
Kellnerverkleidung dem eintreffenden Hungrigen im halbleeren Gastraum
erklärten, es sei alles reserviert und man könne leider nur noch am
zugerauchten Ecktisch „platziert“ werden. Das war Sadismus pur.

Heute sind die Gefühlslagen in der Dienstleistung komplizierter. Ich spüre
mein schlechtes Gewissen immer an meinem freien Mittwoch, schon am
Morgen. Wenn ich mich um 10 Uhr im Rewe-Supermarkt mit meinem prall
gefüllten Einkaufswagen der Kasse nähere. Die Kassiererin haucht mir ein
fein getuntes „Hallo“ entgegen, wahrscheinlich haben sie den persönlichen
Sound in irgendwelchen Schulungen üben müssen.

Im Einkaufswagen liegen Milchtüten, Nudelpackungen und Joghurtbecher.
Das Obst in den durchsichtigen Beuteln muss die Kassiererin von Hand
abwiegen. In der Brötchentüte mischen sich Schrippen, Vollkornbrötchen
und Brezeln. Die muss sie einzeln eintippen.
Eine Kassenfrau im Supermarkt soll 55 Kunden pro Stunde schaffen.
Zum Abschied wünscht mir die Dame „einen schönen Tag noch“.
Mein Unbehagen wächst.

Denn, was soll ich antworten? Ein schlichtes „Danke“ klingt, als sei ich zu
keinem Gegenwunsch fähig.Wie wäre es stattdessen mit einem munteren
„Ihnen auch noch einen schönen Tag“, das eigentlich die Höflichkeit
gebietet? Doch die Kassenfrau hat an diesem Tag noch einige hundert
KundInnen vor sich, einige tausend Artikel, die über den Scanner gezogen
werden müssen, geplatzte Joghurtbecher, komplizierte Brötchen
mischungen, Kunden, deren Kreditkarte nicht funktioniert, und bei all dem
muss sie auch noch einige hundert „Hallos“ an die Freizeitlinge absondern.
Wie kann ich der Lady bei diesen Aussichten „auch Ihnen noch einen
schönen Tag“ wünschen? Es ist 10 Uhr am Morgen, die Sonne scheint zwar,
aber nicht im Supermarkt.

Arbeiten ist nichts Schlimmes
„Natürlich kannst du einen schönen Tag wünschen“, sagt mein alter
Bekannter F., „die Frau kann auch an der Kasse einen guten Tag haben.
Arbeiten ist nichts Schlimmes.“
F., Akademiker, ist Unternehmer mit drei Angestellten, von denen er
erwartet, dass sie ihren Job toll finden. Wobei F. den besser bezahlten und
spannenderen Job hat als seine Angestellten und als die Kassiererin.
F. gehört zu den Leuten, die nach einer Untersuchung des IAQ-Instituts in
Duisburg-Essen sehr zufrieden sind mit ihrer Arbeit. Leute mit niedriger
qualifizierten Jobs sind es seltener und dann kriegen sie auch noch weniger
Geld. Ich könnte der Kassendame natürlich wünschen: „Und Ihnen stabile
Sehnenscheiden, starke Bandscheiben und nur freundliche Kunden“.
So was wage ich nicht.

Jetzt habe ich eine Idee für kommenden Mittwoch. Ich kaufe spät ein.
Sehr spät. „Einen schönen Abend noch“, wird die Kassenlady mir wünschen.
„Ihnen auch einen schönen Feierabend“, werde ich fröhlich antworten.
Es wird 21.50 Uhr sein. Alles wird passen.
Die Uhrzeit, der Spruch. Ein gutes Gefühl. Die Brötchen lasse ich zu so
später Stunde einfach weg.