Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Über Gerüchte

Gesundes an der Uferfront | TAZ 19.09.2011

WERDEN WIR IM ALTER LINKER ODER RECHTER?
AUF GERHARDS HOUSEWARMING-PARTY GIBT ES ANTWORTEN

Freddy, ehemals Hausbesetzer, hat vor Jahrzehnten in den Besetzerräten das große Wort geschwungen. Heute ist er im Immobiliengeschäft tätig und erzählt den Investoren, dass gerade der Wedding ein Bezirk mit Zukunft sei.
„Früher war er Linker, heute ist er Ablinker“, hat eine Bekannte mal über Freddy gespottet, der übrigens nett ist und kürzlich wieder Hunderte von Euros gegen den Hunger in Afrika gespendet hat. Freddy ist auch auf Gerhards Housewarming-Party eingeladen.
Gerhard hat mit der Entwicklung medizinischer Software viel Geld verdient und ein Haus am See gekauft. Vor vielen Jahren, als seine Geschäfte schon gut liefen, beichtete mir Gerhard, er wähle jetzt nicht mehr die Grünen wie früher, sondern die FDP. „Ich habe die Schnauze voll davon, dass es ein Verbrechen sein soll, erfolgreich zu sein und Geld zu verdienen“, hatte er gesagt. Linke Politik sei „lebensfeindlich“.
Gerhard bestätigte damals die Theorie der „Aufsteigerwahl“ – danach wählte angeblich FDP oder CDU, wer es in das sogenannte Establishment schaffte. Wer sich dagegen als Absteiger empfand und nicht zurecht kam in der Leistungsgesellschaft, entschied sich eher für die Linkspartei. Schöne Theorie. In Wirklichkeit sind die Kriterien persönlicher. Davon bin ich seit Gerhards Einweihungsparty überzeugt.
„Ich wähle zum ersten Mal die Linke“, sagt N., als wir auf Gerhards Terrasse zusammenstehen und über die Wahlen in Berlin plaudern. „Der rote Wirtschaftssenator ist okay. Und man muss ein Zeichen setzen. Die Reichen könnte man nun wirklich höher besteuern.“ N., demnächst pensionierte Lehrerin, will in ein Mehr-Generationen-Wohnprojekt ziehen. Sie hat eine lange Krankheitsphase hinter sich, das habe sie „nachdenklich“ gemacht, hat sie mir erzählt. Früher wählte sie die Grünen. Doch wenn man die eigene Endlichkeit spürt, wird man ein bisschen mehr links, denkt mehr an das Soziale, so mein Eindruck. Auch der US-Multimilliardär Warren Buffett will mit 81 Jahren endlich höher besteuert werden.
Gerhards alte Bekannte Lise hat auch eine Entscheidung getroffen. Sie will „nicht mehr die Grünen, sondern die SPD wählen“, sagt sie. Schließlich habe sie proletarische Vorfahren gehabt, und die hätten es „ohne sozialdemokratische Politik nie in die Mittelschicht geschafft. Man muss sich auf seine Wurzeln besinnen.“ Wir haben alle schon Prosecco intus.
Von Gerhard weiß ich, dass er die FDP verachtet, seitdem sie auf ihren Plakaten das „Croissants bestellen in Paris“ als besonders weltmännisch pries. „Ich muss zum Glück nicht wählen“, sagt Gerhard fröhlich, „schließlich wohne ich jetzt in Brandenburg.“ Freddy gesellt sich zu uns. Er war zuvor von einem Gast gefragt worden, ob auch ein Grundstück an einem Uferweg als „Wassergrundstück“ gelte. Nur mit eigener Uferfront zähle es als wertvolles „Wassergrundstück“, hörte ich Freddy erläutern. „Wen wählst du eigentlich?“, frage ich ihn. „Neuerdings wieder die Grünen“, sagt Freddy und grinst. „Im Alter kommt man wieder auf den Naturtrip, man will was Gesundes.“ Endet so die Politik? Ich muss auf der Heimfahrt drüber nachdenken.