Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Die Lebensform muss Privatsache bleiben | TAZ 15.7.2023

GESELLSCHAFT Zu behaupten, das Ehegattensplitting halte Frauen vom Arbeitsmarkt fern, ist übrgriffig

Immer dann, wenn Po­li­ti­ke­r:in­nen Lebensformen auf- oder abwerten, um Kürzungen oder Nichtkürzungen zu rechtfertigen, sollten rote Warnlampen angehen. Denn Klischees werden ausgepackt, wenn es in die Interessenlage passt. Das war schon zu Zeiten der strukturellen Massenarbeitslosigkeit um die Jahrtausendwende so, als man Arbeitslosen Faulheit unterstellte, obwohl Jobs knapp waren.

Auch jetzt verlangt der Bundesfinanzminister Einsparungen. Und schon werden die Ressentiments ausgegraben. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil will dem „antiquierten Steuermodell“ des Ehegattensplittings, das nur „die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau“ begünstige, „ein Ende setzen“.

Zur Klarstellung: Das Splitting trägt dazu bei, dass in Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften, in denen eine*r mehr verdient als der andere, nicht mehr Steuern bezahlt werden müssen als in Partnerschaften, in denen beide gleich viel verdienen. Hat beispielsweise in einer Ehe eine*r der Part­ne­r:in­nen 50.000 und der oder die andere nur 10.000 Euro im Jahr zu versteuerndes Einkommen, so wären bei einer Individualbesteuerung ohne das Splitting 11.816 Euro Steuern fällig. Ein Paar, bei dem beide 30.000 Euro im Jahr verdienen, muss nur 9.902 Euro Steuern entrichten. Den gleichen Steuerbetrag zahlt ein ungleich verdienendes Paar dank des Splittingtarifs, den man freiwillig wählt.

Das Splitting erweitere den „Spielraum“ einer Partnerschaft in der Aufgabenteilung, urteilte das Bundesverfassungsgericht 2013. Es gab schwulen Paaren recht, die den Splittingvorteil für ihre eingetragene Lebenspartnerschaft haben wollten. Wer heiratet oder sich verpartnert, verpflichtet sich zum Unterhalt für den oder die Part­ner:in. Also ist es nicht unlogisch, den zu versteuernden größeren Anteil am Einkommen rechnerisch zu reduzieren und einen Betrag dem oder der Part­ner*in zuzuordnen – nichts anderes geschieht beim Splitting.

Es gibt Reformmodelle von SPD und Grünen, die das Splitting durch eine individuellere Besteuerung ersetzen, bei der die Unterhaltsverpflichtung aber in Form von Freibeträgen berücksichtigt wird. Das würde für manche Ehepaare ­etwas höhere Steuern als bisher bedeuten und etwas mehr Geld für den Staat. Kann man machen für neue Ehen, sollte man aber auch so ansagen und sich das Gerede über irgendwelche „Anreize“ ­sparen.

75 Prozent der Mütter arbeiten

Am Bundesgerichtshof erging 2009 das Urteil, übrigens unter einer Frau als oberster Familienrichterin, die Unterhaltsrechte der ersten Ehefrau nach einer Langzeitehe dramatisch zu mindern, wenn der Mann danach eine zweite Familie gründet. Auch hier war von Anreizen für die ersten Ehefrauen die Rede, sich frühzeitig um einen Job zu bemühen, um selbstständig zu werden. Und die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, will die Witwenrente in der bisherigen Form abschaffen, weil die jetzige Regelung die „Anreize“ reduziere für Ehefrauen, eine eigene Beschäftigung aufzubauen.

Dieses Anreizgerede, die Sorge, das selbst gewählte Splitting halte die Frauen vom Arbeitsmarkt fern, wie Wis­sen­schaft­ler*in­nen behaupten, ist übergriffig. 75 Prozent der Mütter arbeiten, zwei Drittel davon in Teilzeit. Sie brauchen bessere Kinder- und Altenbetreuung, keine finanziellen Verschlechterungen.

In die ideologische Begleitmusik kritisch hineinhören muss man auch bei der Debatte ums Elterngeld. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) schlägt vor, Paaren mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 150.000 Euro im Jahr ab 2024 kein Elterngeld mehr zu gewähren. Das ist im Grunde okay. Das Erziehungsgeld, der Vorläufer des Elterngelds, war sogar auf Paare mit einem Nettojahreseinkommen von unter 30.000 Euro begrenzt. Allerdings: Die Kürzung kommt sehr schnell mit einem Vorlauf von nur fünf Monaten, immerhin werden bis zu 25.200 Euro mal eben weggestrichen. Das wirkt für sehr gut verdienende Paare wie ein Vertrauensbruch, daher die Empörung. Zur Erinnerung: Mit dem Elterngeld und dessen maximaler Höhe von monatlich 1.800 Euro wurde 2007 eine Leistung eingeführt, die explizit auch akademischen Paaren einen Anreiz bieten sollte, doch bitte Kinder zu bekommen. Es gibt viel Willkür in den politischen Legitimierungen.

Wenn öffentliche Mittel knapp werden, muss Bedarfsgerechtigkeit an erster Stelle stehen, ohne über Lebensformen zu urteilen. Dazu gehört, dass die Mittel- und Oberschicht sich auf Opfer einstellen sollte. Höhere Sozialbeiträge werden kommen, höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften sollten kommen. Statt Ressentiments zu schüren, wäre es besser, den Leuten zu vermitteln, dass Verluste in Grenzen eben dazugehören. Und dass damit nicht alles zu Ende ist.