Barbara Dribbusch

Journalistin & Autorin

Unter Faulheitsverdacht | TAZ 31.3.2025

SOZIALES Die künftige schwarz-rote Regierung will schärfere Strafen für Erwerbslose. Aber Erfahrungen mit dem Bürgergeld zeigen, dass komplette Sanktionen kaum einlösbar sind

Es ist der neue schrille Sound im Sozialstaat: „Diejenigen, die nicht arbeiten, aber arbeiten können, werden in Zukunft kein Bürgergeld mehr bekommen“, hat Friedrich Merz (CDU) schon im Wahlkampf wiederholt angekündigt.

Die Scharfmacherei wird die Stimmung in den ­Jobcentern versauen und auch sonst zu nichts Gutem führen.

Denn es gibt Erfahrungen mit den Sanktionen, auch im Bürgergeld. Dort hatte im März 2024 Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Sanktionen bei angeblicher Arbeitsverweigerung von Bür­ger­geld­emp­fän­ger:in­nen verschärft, auch auf Druck der Union.

Der Regelsatz im Bürgergeld konnte ab März 2024 vollständig für zwei Monate gestrichen werden, wenn erwerbsfähige Leis­tungsempfänger:innen, die zuvor schon wegen Pflichtverletzungen sanktioniert worden waren, weiterhin eine „zumutbare Arbeit“ nicht aufnahmen, so steht es in Paragraf 31a des Sozialgesetzbuchs II. Die Übernahme der Wohnkosten durfte dabei nicht versagt werden.

Der abgelehnte Job muss eigentlich frei bleiben

Diese „Totalverweigerer-Sank­tion“ im Bürgergeld spielte aber „nach bisherigen Erfahrungen in der Praxis kaum eine Rolle aufgrund des nicht einlösbaren Tatbestandes,“ heißt es in einem Beitrag der Autoren Johannes Greiser, Richter am Sozialgericht Osnabrück, und André Oberdieck, Landkreismitarbeiter im Fachbereich Jobcenter in Göttingen. Der Beitrag findet sich im aktuellen Themenheft „Zwei Jahre Bürgergeld in der Praxis“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge.

Der „nicht einlösbare Tatbestand“ bei den sogenannten Totalverweigerer-Sanktionen liegt unter anderem darin begründet, dass vor und während einer Komplettstreichung des Regelsatzes „die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme tatsächlich und unmittelbar bestehen und willentlich verweigert werden muss“, so Paragraf 31a, auf den Greiser und Oberdieck verweisen.

In der Praxis bedeutet dies, dass das Jobcenter bei einer solchen umfassenden Sanktionierung nachweisen muss, dass der abgelehnte Job vor und während der Leistungskürzung weiterhin von einem bereitwilligen Arbeitgeber zur Verfügung stünde, also ohne Weiteres sofort angenommen werden könnte. „Solche Nachweise sind in der Praxis kaum zu führen“, sagt ein Mitarbeiter eines Jobcenters der taz, der nicht namentlich in Erscheinung treten will.

Was heißt „willentlich“?

Das Tatbestandsmerkmal „willentlich“ im Gesetz sei eine weitere Hürde für die Sanktionierung, schreiben Greiser und Oberdieck. Willentlich bedeute „mit voller Absicht“. „Es muss dem/der Leistungsberechtigten also gerade darauf ankommen, die Aufnahme der Tätigkeit zu vereiteln“, so die Autoren. „Die Beweisführung dürfte für die Jobcenter sehr schwierig sein.“ Sie müsste belegen, dass eine Arbeitsaufnahme etwa deswegen nicht zustande gekommen ist, weil sich Leis­tungs­be­zie­he­r:in­nen im Anschreiben oder während des Bewerbungsgesprächs dem Arbeitgeber bewusst ungünstig präsentiert hatten.

In einem Urteil des Bundessozialgerichts von 2006 (Aktenzeichen B 7a AL 14/05 R) erkannte das Gericht, dass ein „Bewerbungsschreiben einer Nichtbewerbung gleichzusetzen ist“ und eine Sperrzeit auslösen könne, wenn für den Bewerber klar sein muss, „dass ihn ein verständiger Arbeitgeber schon wegen des Inhalts oder der Form des Bewerbungsschreiben aus dem Bewerbungsverfahren“ ausschließe.

Ein arbeitsloser Diplomingenieur hatte nach der Aufforderung des Arbeitsamts ein eher abschreckendes Bewerbungsschreiben verschickt, dass der erboste Unternehmer an das Arbeitsamt weiterleitete mit dem Hinweis, der Bewerber habe offenbar überhaupt kein Interesse an der Tätigkeit als Disponent.

Wandelbare „Vereitelung“

Der Bewerber hatte in dem Anschreiben unter anderem erklärt, in einem bestimmten Arbeitsbereich weder Ausbildung noch Berufspraxis zu haben und „dies auch keine Wunsch-Tätigkeit wäre“. Das Gericht urteilte, „die Aufzählung besonders nachteiliger Umstände, die in keinem Zusammenhang mit der zu erbringenden Arbeitsleistung stünden“, sei „nicht gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber nicht danach gefragt“ habe.

Wie wandelbar solche Einschätzungen sind, zeigt ein Blick in die Beiträge des Erwerbslosenforums. Dort gab es mal eine Diskussion darüber, ob das Jobcenter bewusste Arbeitsverhinderung unterstellen könne, wenn man im Bewerbungsgespräch darauf hinweise, dass man zu einem abgelegenen Arbeitgeber mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommen müsse, da man kein Auto besitze. In der Regel unterstellten die Arbeitgeber solchen Bewerbern dann potenzielle Unzuverlässigkeit und sortierten sie aus, sagte ein Diskutant.

In den 1980er Jahren im alten Westberlin gelang ein Langzeitarbeitsloser, der grundsätzlich im Röckchen zum Arbeitsamt ging, zu gewissem Ruhm in der Szene – das Röckchen konnte ihm niemand verbieten. Die Zahl der Jobangebote hielt sich in Grenzen. Heute wäre ein Mann im Rock möglicherweise kein Thema mehr. Wer im Bewerbungsgespräch die immer wiederkehrenden Rückenschmerzen erwähnt oder auf Depressionen oder fehlende Vorerfahrungen hinweist, ist möglicherweise einfach nur ehrlich und kein Verweigerer.
Bewerber sind oft gar nicht geeignet

„Das Problem ist nicht die Unwilligkeit oder die Willigkeit der Bewerber, die meisten sind willig“, sagt Claas Reichert, Disponent bei der Zeitarbeitsfirma Arwa in Berlin, im Gespräch mit der taz. Das Problem bestehe „eher darin, dass die Jobcenter Bewerber und Bewerberinnen schicken, ohne vorher überhaupt zu prüfen, ob bei den Menschen die Voraussetzungen für die Arbeit gegeben sind, etwa in der beruflichen Vorerfahrung, in der Qualifikation, in der gesundheitlichen Verfassung“. Reichert hatte schon 63-Jährige, die vom Jobcenter für einen Zeitarbeitsjob in der Produktion zu Arwa geschickt wurden. „Aber wenn jemand nicht mehr acht Stunden stehen kann, macht das keinen Sinn“, sagt der Personaldisponent.

Bei Arwa sprechen auch Menschen vor, die ganz offen angeben, nur wegen der Verpflichtung dem Jobcenter gegenüber zu kommen, die sich aber für ungeeignet für den Job halten und nur die schriftliche Bestätigung brauchen, dass sie bei der Firma waren, sich also der Bewerbung nicht entzogen haben. „Die kriegen die Bestätigung, das kommt öfter vor“, sagt Reichert.

Eine bewusste Verweigerung trotz Eignung für den Job kann das Jobcenter eher nachweisen, wenn die Arbeitslosen zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet werden, auch zu Ein-Euro-Jobs, und diese dann ablehnen. In einer fachlichen Weisung an die Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit vom Oktober 2024 werden die Ver­mitt­le­r:in­nen aufgefordert, Langzeitarbeitslosen, die unter Verweigerungsverdacht stehen, vorrangig Ein-Euro-Jobs aufzudrängen. Die Ablehnung einer solchen Maßnahme kann zur Sanktion führen.

„Zwangsarbeit“ im Sozialen ist heikel

Im sozialen Bereich ist die „Zwangsarbeit“ der Hel­fe­r:in­nen für die Kli­en­t:in­nen dann aber unangenehm. „Man fühlt sich schon etwas blöd, wenn der Helfer klagt, er sei nur wegen der Verpflichtung vom Jobcenter da, um Kürzungen beim Bürgergeld zu vermeiden“, erzählt eine Rentnerin aus Berlin-Tempelhof, die wegen einer zwischenzeitlichen Gehbehinderung von einem Ein-Euro-Jobber eines gemeinnützigen Trägers beim Einkauf begleitet wurde. Der Mann meldete sich alsbald krank.

„Wenn jemand einen Job partout nicht will oder nicht kann, lässt er sich krankschreiben“, sagt der schon oben zitierte Jobcentermitarbeiter.

Die Grenze zwischen nicht wollen und nicht können ist ohnehin fließend. „Zu bedenken ist, dass es einen nicht unerheblichen Teil von Menschen im Transferleistungsbezug gibt, die aufgrund psychischer Dispositionen gehemmt sind, sich in den Verpflichtungsrahmen des SGB II einzupassen“, schreiben Greiser und Oberdieck. Immerhin steht im Arbeitsgruppenpapier der Koalitionsverhandlungen, dass die „besondere Situation“ von „Menschen mit psychischen Erkrankungen“ bei einer möglichen Sanktionierung berücksichtigt werden soll.

In den Anfängen des Bürgergelds im Jahre 2023 wurde vor allem auf die Qualifikations­möglichkeiten und auf Kooperation der Langzeitarbeitslosen mit den Job­center­mit­ar­bei­ter:in­nen Wert gelegt. Der Wind hat sich gedreht. „Von der gerade stattfindenden politischen und trägerübergreifenden Debatte wird es letztlich abhängen, was von der Startaufstellung des Bürgergeldes übrig bleiben wird“, schreiben Greiser und Oberdieck.